"Suchet den Schalom der Stadt"

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Diese Worte schrieb vor etwa 2500 Jahren der Prophet Jeremia. Eigentlich sollte man diese Worte Jeremias besser so wiedergeben: "Suchet das Wohl der Stadt, suchet ein Leben in Gerechtigkeit und Frieden für die Stadt", denn im hebräischen Text steht hier das Wort Schalom, mit dem ein Leben in umfassender Gerechtigkeit gemeint ist. Dieser Schalom ist fürwahr - wie Luther übersetzt hat - das

Beste, was man einer Stadt wünschen kann.
"Suchet den Schalom der Stadt"- das geht nicht, wenn wir das Evangelium als einen Schatz in unserem Herzen bewahren, aber zugleich die ungeheure politische Sprengkraft dieses Evangeliums vor der Öffentlichkeit verstecken. Christsein aus dem Evangelium beinhaltet die Einmischung in die nur scheinbar inneren Angelegenheiten des politischen Lebens. Deshalb darf und kann Kirche niemals bequeme Kirche sein, wenn sie denn eine Kirche sein will, die nach den Konsequenzen des Evangeliums für die Gestaltung aller Bereiche des Lebens fragt. Kirche muss um des Evangeliums willen angehen gegen das, was dem Gemeinwohl schadet. Sie darf nicht mitmachen bei dem, was das gesellschaftliche Klima vergiftet und die Würde von Menschen antastet. Um des Friedens willen muss sie in kritischer Solidarität streitbare Kirche sein und damit den Schalom suchen. Gerade durch ihre Einmischung in den öffentlichen Diskurs einer Polis, gerade als streitbare Kirche leistet die Kirche "politische Diakonie" für die Stadt. 

Die Fragen nach den Konsequenzen haben Christen und kirchliche Vertreter an den Tisch des Bündnisses ‚Wir können sie stoppen’ geführt. Hier können wir konkret um des Frieden der Stadt willen in kritischer Solidarität streitbare Kirche sein. Wie wird eine Antwort auf die jährlichen Nazi-Aufmärsche gefunden, wie wird diese Antwort in einem breiten Bündnis formuliert und nach außen kommuniziert? Das führt uns oft an Grenzen. Diese gilt es zu erkennen und im Bündnis gemeinsam damit umzugehen. Welche Grenzen setzen andere, außerhalb des Bündnisses, wie gehen wir damit
um?

Bei der konkreten Planung der Kundgebungen haben wir uns damit auseinander zu setzen, wie weit eine Kundgebung gehen kann. Ist ziviler Ungehorsam moralisch zu rechtfertigen angesichts der menschenverachtenden Ideologie der Nazis und des Willens zu verhindern, dass Nazis ein Teil der Alltagskultur in Lübeck werden? Das allein ist sicherlich nicht ausreichend!

Müssen wir uns da nicht mit dem hohen Legitimationsanspruch des Rechtsstaates auseinandersetzen, der seinen Bürgern zumutet, die Rechtsordnung nicht aus Furcht vor Strafe, sondern aus freien Stücken anzuerkennen? Diese Anerkennung stütze sich normalerweise darauf, dass ein Gesetz von den verfassungsmäßigen Organen beraten, beschlossen und verabschiedet wird.

Genügt allein der Hinweis auf das legale Zustandekommen positiv geltender Normen für den verlangten Gesetzesgehorsam? Müssen sich die Gesetze nicht vielmehr auf anerkennungswürdige Prinzipien stützen? Wenn wir dem zustimmen, müssen sich alle legal zustande gekommenen Regelungen im demokratischen Rechtsstaat an diesen für alle einsichtigen moralischen Prinzipien prüfen lassen. Und gemessen an diesen Prinzipien können dann Gesetze in bestimmten Fällen illegitim sein.

Nach Jürgen Habermas liegt dieser Umstand daran, dass die Verwirklichung anspruchsvoller Verfassungsgrundsätze ein langer, keineswegs geradlinig verlaufender Prozess ist und jederzeit neue, bislang unbekannte Gefährdungen des Rechtsstaates auftreten können. Der plebiszitäre Druck zivilen Ungehorsams sei oft die letzte Möglichkeit, Irrtümer im Prozess der Rechtsverwirklichung zu korrigieren oder Neuerungen in Gang zu setzen. Zivile Regelverletzungen seien moralisch begründete Experimente, ohne die sich eine vitale Republik weder ihre Innovationsfähigkeit noch den Legitimationsglauben ihrer Bürger erhalten kann.

Wir machen es uns nicht einfacher, wenn wir uns diese Position zu eigen machen. Sie zeigt aber auf, dass es auch andere als theologische Rechtfertigungen geben kann, wenn Anne-Kristin Ibrügger, Superintendentin im Altenburger Land (Thüringen) zum rechtsextremen. ‚Fest der Völker’ (13.09.2008) in Altenburg sagt: „...Wichtig war uns, zu zeigen, dass wir wirklich entschlossen sind, dieses Fest zu verhindern. Das schließt Aktionen des Zivilen Ungehorsams ein...“ .(1)

Die Altenburger Erklärung (1)  formuliert eindeutig: „.. Wir werden uns setzen. Wir werden den Neonazis den Weg versperren. Wir sind überzeugt, dass 2008 viele Altenburger und Jenaer bereit sind, diesen Aufmarsch mit gewaltfreien Blockaden zu verhindern. Wir selbst sind verantwortlich für die Stadt und die Gesellschaft, in der wir leben. Bei aller Unterschiedlichkeit unserer politischen Ansichten verbindet uns die Entschlossenheit, dem erstarkenden Rechtsextremismus unsere Überzeugung, unseren Mut und Verstand, unsere Gemeinsamkeit und Vielfalt entgegenzusetzen.... Wir sind entschlossen, das rechtsextreme „Fest der Völker“ in Altenburg zu verhindern. Wir sind solidarisch mit allen, die dieses Ziel mit uns teilen. Wir wollen das in gemeinsamen und gewaltfreien Aktionen erreichen. Wir werden den Neonazis mit Blockaden zeigen, dass wir sie weder in Altenburg noch anderswo dulden.“

Diese Erklärung lag in den Kirchen des Landkreises, den Geschäftsstellen der Parteien oder in Altenburger Jugendeinrichtungen aus. Des Weiteren konnten diese auf den Internetseiten des Bündnisses oder der Parteien heruntergeladen werden. Unterschriebene Listen konnten beim Kreisjugendring oder den Geschäftsstellen der Parteien abgegeben werden. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Gegenaktionen haben im Altenburger Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus SPD, DIE LINKE, FDP und CDU, die Jusos, der Kreisjugendrind, die Ev.-Luth. Superintendentur sowie die Kirchgemeinde Altenburg, die Katholische Kirchgemeinde, die Diakonie, die Werbegemeinschaft, die Wirtschaftsjunioren u.v.m. zusammengearbeitet.

Auf der Suche nach dem Wohl der Stadt, einem Leben in Gerechtigkeit und Frieden für die Stadt, ist es in Dresden möglich, in einem breiten Bündnis einen Aufruf (3) zu formulieren, der dazu auffordert, die Rechtsextremisten, die für den 13. und 14. Februar 2009 erneut zu ihrem Aufmarsch nach Dresden mobilisieren, friedlich und entschlossen zu stoppen.

Der Aufmarsch der Rechtsextremisten anlässlich der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 hat sich in den letzten Jahren zum größten, regelmäßig stattfindenden Treffen von Alt- und Neonazis jeder Couleur in Europa entwickelt.

Neben vielen anderen Persönlichkeiten (4) aus Kultur, Kirchen, Gewerkschaften und Politik gehört Dr. Richard von Weizsäcker zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs GEH-DENKEN (3), der dazu aufruft, sich „...denen entgegenstellen, die die unveräußerlichen Menschenrechte mit Füßen treten und die Demokratie beseitigen wollen. Wir rufen daher am 14. Februar 2009 zu Demonstrationen und Kundgebungen auf, um dieser Entwicklung aktiv zu begegnen..“ Der Aufruf bleibt in der Sprache deutlich: „... Wenn eine erfolgreiche Mobilisierung der Rechtsextremisten für die folgenden Wahlen verhindert werden soll, müssen wir den rechtsextremen Aufmarsch in Dresden stoppen.“ An die Erfolge einer aktiven zivilgesellschaftlichen Mobilisierung der vergangenen Jahre will man 2009 anknüpfen und ruft „...bundesweit dazu auf, die Rechtsextremisten friedlich und entschlossen in Dresden zu stoppen...:“

In Wunsiedel versuchte man zunächst, die Nazi-Demonstrationen zum Hess-Todestag durch ignorieren und durch "menschenleere Straßen" zu bewältigen, aktive Proteste, hieß es lange, schadeten dem Ansehen Wunsiedels. Doch bald setzte sich die Einsicht durch, dass dies der falsche Weg war. 2004 beteiligte sich sogar CSU-Bürgermeister Karl-Willi Beck an einer Sitzblockade. (5)

Eine breite zivilgesellschaftliche Mobilisierung verhinderte in Köln im September 2008 die „Anti-Islamisierungskonferenz“ und einen Aufmarsch von Nazis. Das linke Bündnis „Köln stellt sich quer" und das bürgerliche "Kölner Bündnis gegen Rassismus" riefen zur selben Gegendemonstration auf. Gleichzeitig rief "Köln stellt sich Quer" dazu auf, nach der Demonstration in Richtung Ebertplatz zu ziehen und sich den Nazis in den Weg zu stellen.

Wir wissen, dass die Kundgebungen des Bündnisses ‚Wir können sie stoppen’ unzureichende Antworten auf die jährlichen Nazi-Aufmärsche sind. Wir wissen, dass die Einmischung in die nur scheinbar inneren Angelegenheiten des politischen Lebens weiter gehen muss. Die Nazi-Aufmärsche sind nur ein öffentlich wahrnehmbares Zeichen des Rechtsextremismus und rechtsextremer Einstellungsmuster.

Ein Leben in umfassender Gerechtigkeit ist weit mehr als Kundgebungen gegen Naziaufmärsche zu organisieren. Vielleicht machen die wenigen Beispiele Mut, nicht mitzumachen bei dem, was das Stadtklima vergiftet. Diesen Mut brauchen wir alle, nicht nur die Kirchen. So unterschiedlich die Menschen, Gruppen, Organisationen auch sind, die in Lübeck Zeichen gegen Aufmärsche von Nazis setzen oder diese verhindern wollen – wenn es miteinander gelingt, sind wir sicherlich dem „Besten“, das man einer Stadt wünschen kann, ein Stück näher gekommen

Joachim Nolte
Beauftragter 'Kirche gegen Rechtsextremismus'
+) Ev.-Luth. Kirchenkreis Lübeck
www.kirche-gegen-rechtsextremismus.de

(1)  www.netz-gegen-nazis.de/artikel/ziviler-ungehorsam-ist-notwendig

(2) www.fdp-abg.de/pdf/abgemeinsam-08-2008.pdf

(3) www.geh-denken.de/joomla/aufruf.html

(4) Geh-denken, 14. Februar 2009 Dresden,
Erstunterzeichner u.a.:
Fischer Dietmar Kreisvorsitzender, FDP Dresden und Unternehmer
Prof. Gintzel Ullrich Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit Dresden (FH),
Bischöfin Jepsen Maria Bischöfin für Hamburg und Lübeck
Knobloch Charlotte Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland
Dr. Legutke Nikolaus Vorsitzender, Diözesanrat Bistum Dresden-Meißen
Dr. Meis Peter Superintendent, Ev.-Luth. Kirchenbezirk Dresden Mitte
Nollau Albrecht Superintendent, Ev.-Luth. Kirchenbezirk Dresden Nord
Dr. Weizsäcker Richard von Bundespräsident a.D.
www.geh-denken.de/joomla/erstunterzeichner.html

(5) www.netz-gegen-nazis.de/artikel/wunsiedelurteil

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