Als Kirchen im Bündnis „Wir können sie stoppen“
– ein Lernprozess zwischen allen Stühlen

„Wir können nicht schweigen und den Protest anderen überlassen, wenn Neonazis Gedenkfeiern vor
unseren Kirchen abhalten wollen!“ 

So appellierte im Winter 2005/2006 ein Lübecker Pastor an seine Amtsgeschwister im evangelischlutherischen Kirchenkreis. Es sprach sich schnell herum, und so machten sich Menschen aus mehreren Kirchen und Konfessionen auf und setzten sich mit an den Tisch der verschiedenen Gruppen, die sich seit vielen Jahren mit rechtsextremer Ideologie, Gewalt und Faschismus auseinandersetzen und öffentlich gegen deren Inszenierung und Verbreitung aufstehen.

Ob römisch-katholisch, evangelisch-lutherisch, evangelisch – reformiert, evangelisch-freikirchlich- jede unserer Kirchen schreibt eigene Geschichten der Verfolgung, des Widerstandes, aber auch der Schuldverstrickung und Gleichschaltung während der Nazi-Diktatur. In ökumenischer Verbundenheit können wir anknüpfen an das Vermächtnis der vier ermordeten Lübecker Geistlichen Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und Karl-Friedrich Stellbrink. An sie zu erinnern, hinzusehen und hinzuhören, wie sie widerstanden haben, führt uns dazu, gemeinsam mit anderen aufzustehen und unseren Protest gegen Geschichtsverdrehung und wiederauflebende rassistische und nationalistische Propaganda auf die Straße zu tragen.

Doch was heißt heute „Widerstand“?

Die Zusammenarbeit im Bündnis fordert immer wieder dazu heraus, auf der Suche nach dem Konsens die Bewahrung der eigenen Prinzipien und Überzeugungen auszubalancieren mit der Offenheit für die Überzeugungen der anderen. Können wir das als Kirchen institutionell vermitteln, oder lässt sich das nur als persönliche Entscheidung Einzelner kommunizieren – eben weil es unmittelbare direkte Begegnung und Auseinandersetzung verlangt?
Wie weit kann das Mandat gehen, das ein Propst, eine Pröpstin, ein Leitungsorgan einem Pfarrer, einer Pastorin, einem Beauftragten zum Reden und Handeln gibt, und wo ist die Grenze zur ganz persönlichen Gewissensentscheidung zu ziehen?

„Wir können sie stoppen!“ – mit diesem Motto verfolgt das Bündnis ein weitreichendes Ziel, das zu erreichen nur mit vereinten Kräften in der Breite der Gesellschaft möglich ist. Doch wie konkret gewinnt diese Zielvorstellung Gestalt angesichts der jährlichen Nazi-Aufmärsche in Lübeck und anderswo? Welche Konflikte impliziert ein solches Motto in jedem Jahr neu?

Wie können Kirchenleute und linke Aktivisten gemeinsam in einem Offenen Brief an die Polizei schreiben, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel im Umgang mit Demonstranten zu wahren sei? So ist es im Frühjahr 2008 geschehen, nur dass die Presse den Brief der Öffentlichkeit vorenthielt. Es gibt Trennlinien, die aus Überzeugung gezogen werden müssen. Aber davor liegen der offene Dialog und die gegenseitige Kritik, die um so eher auszuhalten ist, wenn es die Chance gibt, sich kennen zu lernen und Positionen und Handlungsoptionen darzulegen.

In sechs Jahren der Zusammenarbeit ist Vertrauen gewachsen. Wir üben miteinander Geduld und Konsensfindung. Wir sind sensibler geworden für die Sprache, die uns geprägt hat, und wir bemühen uns, eine gemeinsame zu finden. Wir versuchen einzustehen für eine Kultur des Dialogs und der Überwindung der Gewalt .Wir nehmen wahr, wie stark die Vorbehalte gegen eine offene Auseinandersetzung mit Konzepten des zivilen Ungehorsams sind und welche Befürchtungen sich damit verknüpfen.

Wir suchen das Gespräch auch mit Verantwortlichen in dieser Stadt und mit der Polizei. Wir möchten dazu beitragen, dass Menschen ermutigt werden, sich in unterschiedlichster Weise unserem Nachdenken und öffentlichen Protest anzuschließen, und wir tragen Mitverantwortung dafür, sie dabei zu begleiten.

Wir erleben mit, wie Polizisten und Gegendemonstranten sich in feindlichen Lagern gegenüber stehen und halten trotzdem daran fest, dass unsere Gemeinden offene Begegnungsräume sein müssen, wo diese Gräben zu überwinden sind. Wir möchten erkennbar und glaubwürdig sein – als Einzelne und als Kirchen, die für das Recht und Würde jedes Menschen eintreten. Darum setzen wir uns als Kirchenvertreter an die unterschiedlichsten Gesprächstische in dieser Stadt – und manchmal zwischen alle Stühle.

Der Text entstand Ende 2008 - er ist immer noch und immer wieder aktuell.


Pastorin Imke Akkermann-Dorn
Evangelisch.-Reformierte Kirchengemeinde Lübeck

Pfarrer Joachim Kirchhoff
Römisch-Katholische. Pfarrgemeinde St. Birgitta

Pastorin Elisabeth Hartmann-Runge
Ökumenische Regionalstelle
Evangelisch -Lutherischer. Kirchenkreis Lübeck - Lauenburg

Joachim Nolte
Beauftragter 'Kirche gegen Rechtsextremismus'
Evangelisch Lutherischer Kirchenkreis Lübeck - Lauenburg

Der Text entstand Ende 2008 - er ist immer noch und immer wieder aktuell.

Link: http://www.wirkoennensiestoppen.de/

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Als Kirchen im Bündnis



"Suchet den Schalom der Stadt"

"Suchet den Schalom der Stadt" - das geht nicht, wenn wir das Evangelium als einen Schatz in unserem Herzen bewahren oder als Utopie sonntags feiern, aber zugleich die ungeheure politische Sprengkraft dieses Evangeliums vor der Öffentlichkeit verstecken....

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